Das Neue Österreich, 2005

Schloss Belvedere, Wien, Österreich

Im Jahr 2005 beging Österreich den 50. Jahrestag seiner Unab­hängigkeit. Das Schloss Belvedere in Wien zeigte aus diesem Anlass eine Ausstellung zu 100 Jahren öster­reichischer Geschichte. Zentrales Exponat: das Orginal der Unab­hängig­keits­erklärung.

Die Ausstellung wurde von drei Parteien gestaltet. Entlang der linken Wand­seite inszenierte ein Szenograph historische Objekte, Artefakte und Dokumente. Ein Kurator zeichnete verantwortlich für die rechte Wand­seite. Hier wurde öster­reichische Kunst aus den vergangenen 100 Jahren gezeigt. Den Freiraum zwischen den Wänden – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne zwischen Design und Kunst – gestaltete ART+COM.

Im Mittelpunkt der Inszenierung stand eine 250 Meter lange öster­reichische Fahne. Diese zog sich durch alle Aus­stellungs­räume und fungierte als „Erzähler“. 17 mediale Installationen, auf der Fahne platziert oder in diese integriert, machten die öster­reichische Geschichte interaktiv erlebbar.

„Ohrtrompete”
In die Fahne hineinhorchen: Die Audio­installation gibt Original­aufnahmen von Politikern der ersten Dekade des 20. Jahr­hunderts wieder, zum Beispiel von Kaiser Franz Joseph I.

„Dia-Stoff”
In die Fahne hineinschauen: In den Stoff integrierte Dia-Aufnahmen aus dem Ersten Welt­krieg können mit einem Vergröße­rungs­glases betrachten werden. Das Sichten der Dias schafft eine intime Situation, die im gewollten Kontrast zu der Brutalität der Abbil­dungen steht.

„Tritt auf die Wehrmacht”
1938 schloss sich Österreich Deutschland an und verlor seine Flagge. Die Fahnen­spur in der Ausstellung ist in diesem Abschnitt grau gefärbt. An einer Tür­schwelle ist ein aus der Vogelperspektive aufgenommener Film von marschierenden Wehr­machts­soldaten auf den Stoff projiziert. Die Besucher*innen kommen bei ihrem Rund­gang nicht darum herum, mit und auf den Soldaten zu „marschieren“. Zwischen den Tür­pfosten sind die Soldaten­stiefel auch zu hören.

„Stoff-Keyboard”
Auf diesen Abschnitt der Fahnen­spur ist eine Schreib­maschinen-Tastatur projiziert. Beim Berühren der Tasten sind Erklärungen zu Schlüssel­wörtern zu hören, die mit der Besatzungs­zeit nach dem Zweiten Welt­krieg in Zusammen­hang stehen.

„Verbeugung vor der Fahne”
Die in diesem Abschnitt inte­grierten Laut­sprecher sind so leise gestellt, dass die Besucher*innen dicht an die Fahne herantreten müssen, um die Audioeinspielung hören zu können. Der Eindruck entsteht, sie würden sich vor der Fahne verbeugen: Die Besucher*innen werden zu einem aktiven Teil der Ausstellungs­inszenierung.

„Die Unabhängigkeitserklärung”
Das Original-Dokument ist erstmalig in Österreich zu sehen (es wurde in Russland als letztem Unter­zeichner der Erklärung verwahrt). In der zentralen Halle des Schlosses, in der das Schrift­stück präsentiert wird, ist die Fahne nicht medial inszeniert.

„Zitat-Ticker”
Eine in die Fahnenspur integrierte LED-Installation gibt Zitate aus zentralen Werken öster­reichischer Literatur wieder.

„Klischee-Schüssel”
Im nordöstlich gelegenen Eckraum läuft die Fahnen­spur in eine gigantische “Schüssel” hinein und wird virtuell. Besucher*innen können in ihr rühren wie in einer Nudel­suppe und dadurch Schlag­worte an die Ober­fläche bringen, die öster­reichische Stereotype aufgreifen. Durch Berühren der Begriffe erscheinen Erläuterungen in Bild- und Textform.

„Wirtschafts-Skulptur”
Die Fahnenspur wird zu einer skulpturalen Info-Grafik, die das öster­reichische im Vergleich zum europäischen Brutto­sozial­produkt der letzten 100 Jahre zeigt.

„Fahnen-Kamera”
Beim „Abfilmen“ der Fahnenspur mit einer Super 8-Kamera zeigen sich alte Filme aus privaten Beständen.

„Fahnen-Mikroskop”
Hier wird jede*r einzelne Besucher*in in Relation zu Österreich und Europa gesetzt. Die Fahnen­spur läuft über einen Tisch in der Form Europas, sichtbar nur dort, wo Österreich liegt. Auf diese Stelle ist ein Mikroskop gerichtet. Der Blick durch das Mikroskop zeigt die Erde und Europa aus der Weltall-Perspektive. Durch das Verstellen des Objektivs können die Besucher vom Weltall, über Europa, Österreich, Wien, bis zum Belvedere, durch das Dach des Schlosses und zu dem eigenen Live-Bild zoomen, das von einer Kamera an der Decke aufgenommen wird.

Das Neue Österreich ist als Gemeinschafts­projekt von ART+COM mit Martin Kohlbauer (Architekt) und Wolfgang Luser entstanden.