Parame­trische (T)Raumgestaltung, 2013

Campus Virchow-Klinikum der Charité, Berlin

Am Campus Virchow-Klinikum der Charité sind im Rahmen des Forschungs­projekts Parame­trische (T)Raumgestaltung zwei neu­artige Pilot-Intensivzimmer entstanden. In ihnen treten tech­nische Geräte in den Hinter­grund, während die visuelle Umge­bung individuell an den Zu­stand der Patienten an­passbar wird.

Zentrale Komponente der vom Architektur­büro GRAFT gestalteten Innenraum­konzep­tion ist ein groß­formatiger, medial bespiel­barer Screen, der über dem Bett ange­bracht ist, sich nach unten wölbt und so das Blick­feld ausfüllt. Gebaut wurde der Screen zusam­men mit Philips. An die 4.000 LEDs produ­zieren das farbige Licht des Screens. Neben RGB-LEDs sind auch Hoch­leis­tungs­leucht­­dioden mit warm- und kalt­weißer Licht­far­be integriert. Sie sind in der Lage, Be­leuch­tungsstärken von über 20.000 Lux zu er­zeugen, was in etwa der Licht­einwir­kung unter freiem Him­mel entspricht.

ART+COM entwickelte die medialen Bespie­lun­gen für den Screen in enger Zusammen­arbeit mit der Klinik für Anästhe­siologie mit Schwer­punkt operative Intensivmedizin an der Charité auf der Basis wissen­schaftlicher Erkenn­tnisse und Theorien. Die Bespie­lungen sollen den Patient*innen helfen, sich zum Beispiel nach schwe­ren Operationen oder Komas zu reorien­tieren. Die visuellen Inhalte lehnen sich an Natur­phä­nomenen an und ver­binden den Pa­tienten mit der Außen­welt. Sie sollen kognitiv stimu­lierend, stress­min­dernd und angstlösend wirken, sodass sich die Gabe von Schmerz- und Beruhigungs­medikamenten reduzieren lässt und sich der Hei­lungs­verlauf von Intensivpatient*innen verbessert.

Zentraler Ansatz der Gestaltung ist die Simu­lation einer Tag-Nacht-Rhythmik, die den natür­­lichen Schlaf fördert und sich protektiv auf akute kognitive Defizite des Pa­tienten, soge­nannte Delirien, aus­wirken kann. Die Farbe des Screens wechselt abhängig von der Tage­szeit und simu­liert so das ganze Licht­spektrum eines Tages. Wird als Para­meter auch das aktuelle Wetter (am Ort oder an einem belie­bigen Ort der Welt) hinzuge­zogen, ändert sich der simulierte Him­mel ent­sprechend. Beispiels­weise werden die Wolken dichter oder ziehen schneller vorbei. Beweg­liche Objekte wie Vögel oder Kondens­streifen stimulieren die Kognition des Patienten zusätzlich.

In einer weiteren Bespielung, die angst- und schmerzredu­zierend wirken soll, legen sich virtuelle Blätter eines Baumes auf den Screen. Die Farbe, Dichte, Größe und Form der Blätter kann individuell je nach Zustand der Patient*innen eingestellt werden. Werden diese Para­meter wieder um Wetter­daten ergänzt, bewegt der Wind die Blätter in Relation zum aktuellem Windauf­kommen. Intensiv­medizinisch betreuten Patient*innen, die nachts häufig wach sind, bietet der Screen zwei verschie­dene Visuali­sierungen: wahlweise einen ruhigen Sternen­himmel oder den Blick auf bewegliche Licht­punkte, die an Glüh­würmchen erinnern und deren Tanz die Kognition trainiert.

Der Screen zeigt veränderliche, an realen Pro­zessen der Natur orientierte Visualisier­ungen, die vom medizinischen Fach­personal para­me­trisch an den Zustand der Patient*innen angepasst werden können. Dies geschieht über die Ein­ga­be klinisch rele­vanter Patient*innen­daten über ein spezielles Tablet-Interface.

Im gemeinsamen Forschungs­projekt Parame­trische (T)Raumgestaltung kooperieren als Partner die Charité – Universitätsmedizin Berlin, das Architektur­büro GRAFT, ART+COM und die Charité CFM Facility Management GmbH. Es wird vom Bundes­minis­terium für Wirtschaft und Technologie ge­fördert und erreichte 2012 den ersten Platz im Wett­bewerb Design & Gesundheits­wirtschaft der Berliner Landesinitiative Projekt Zukunft.

Bilder 1-8 ©Tobias Hein