Groote Museum, 2022

Amsterdam, Niederlande

Die großen Fragen stellen, neue Verbindungen herstellen und manchmal auch irritieren – nach 75 Jahren Leerstand und aufwändiger Sanierung öffnet das ehemalige Naturkundemuseum in Amsterdam wieder seine Tore mit einem völlig neuartigen Konzept. ART+COM war von Anfang an als Ideengeber dabei und produzierte fünf interaktive Medienstationen für die Ausstellung.

Das Groote Museum, was auf deutsch schlichtweg “großes Museum” heißt, wurde 1855 für die zoologische Gesellschaft Natura Artis Magistra eröffnet. Direkt am Gelände des Amsterdamer Stadtzoos gelegen, zeigte es Objekte aus der Natur wie Muscheln, Skelette oder Tierhäute aus dem angegliederten Zoobetrieb. Seinerzeit sah sich der Mensch als separate und überlegene Entität an. Das heutige Groote Museum möchte mit dieser Sicht brechen und die Verbundenheit aller Lebewesen aufzeigen – und damit sind nicht nur Säugetiere gemeint. Von den präparierten Wurzeln eines Baumes bis hin zu überdimensionalen Regenwürmern oder der degenerierten Halswirbelsäule eines aufs Handy starrenden Homo Sapiens: Alle Originalobjekte wurden spezifisch für die Ausstellung produziert und fügen sich mit interaktiven Medienstationen, künstlerischen Interventionen und Video- und Soundarbeiten zu einem wundersamen Mosaik des Lebens. In zwölf Kapiteln, die die imposanten Räume des historischen Museumsgebäudes durchlaufen, erfahren die Besucher*innen die Verbundenheit der Welt ausgehend.

ART+COM hat sich bei der Konzeption der medialen Exponate vor allem auf Interaktionsprinzipien konzentriert, die den eigenen Körper der Besucher*innen in den Vordergrund rücken. Das Erleben des in den jeweiligen Kapiteln zentralen Körperteils wird zum Ausgangspunkt und stärkt die Identifikation mit den zentralen Botschaften der Ausstellung.

Im Westflügel finden sich die Besucher*innen vor einem lebensgroßen Bildschirm wieder, der einen gläsernen Mensch in Bewegung zeigt. Hier zeigen Animationen zu fünfzehn Körperteilen die Einzigartigkeit der menschlichen Anatomie. Wie schaffst du es, auf nur zwei Beinen das Gleichgewicht zu halten? Was hat der aufrechte Gang mit Sprachfähigkeit zu tun? Und was hat der Mensch allen Tieren voraus?

Das nächste Exponat führt uns die Bewegungsmöglichkeiten unserer einzigartigen Wirbelsäule auf ganz praktische Weise vor: Die Bedienung erfolgt durch den eigenen Körper. Durch Machine Learning-Algorithmen werden die Bewegungen der Besucher*innen erkannt und verschiedenen Tieren zugeordnet, die sich daraufhin mit ihnen zusammen bewegen. Die Installation ermöglicht es, auszuprobieren, wie es sich anfühlt, wie ein Salamander zu kriechen, wie ein Jaguar zu sprinten oder wie eine Seeanemone zu schwimmen, statt den ganzen Tag sitzend zu verbringen.

Unser Körper – genauer: unser Gesicht – ist das Interface für eine weitere Installation. Das Erkennen und unterbewusste Spiegeln von Emotionen ist die Basis für unser Leben in Gemeinschaft, und das nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Tieren. Und dies zeigen wir vor allem durch unsere Gesichtsausdrücke. Um dies fühlbar zu machen, verbindet das Exponat zwei innovative Technologien: das Tracking von Gesichtsmuskeln und die Zuordnung dieser Gesichtsbewegungen zu Emotionen mit Hilfe des Facial Acting Coding Systems. Während man das eigene Gesicht auf dem Bildschirm sieht, werden die Gesichtsmuskeln in aufwändiger Animation auf jede Gesichtsregung projiziert und als Emotion dekodiert. In der Interaktion mit einem Avatar wird schließlich deutlich, dass wir mit echten Gefühlen reagieren – selbst wenn unser Gegenüber künstlich generiert ist.

Der ökologische Fußabdruck steht im Zentrum der nächsten Medienstation. Ein oft abstraktes und komplexes Thema, das wir hier durch einen künstlerischen Griff zu einer persönlichen Erfahrung werden lassen. Eine Satellitenaufnahme des eigenen Wohnorts verwandelt sich mit Hilfe der Daten des Global Footprint Networks und Machine Learning in eine entstellte Karte einer Insel, die all die Ressourcen enthält, die man für die Aufrechterhaltung des Lebensstandards im Heimatland benötigt. Schnell wird klar: Wenn jede Person so leben würde wie wir, bräuchten wir mehr Erden als wir haben.

Das Groote Museum stellt in allen Exponaten große Fragen. Antworten müssen die Besucher*innen selbst finden. Auch die deckenhohe Skulptur in Form eines Fragezeichens im Eingangsbereich lädt zum Nachdenken ein. Beim Nähertreten offenbart sich eine zweite Ebene: Durch verschiedene Augmented-Reality-Effekte finden sich die Betrachter*innen in fantastischen Szenen wieder, die die eigene Rolle in der Umwelt hinterfragen. Denn wirklich alles ist miteinander verbunden.

 

Partner
Inhalte, wissenschaftliche Basis: ARTIS
Architektur: Kossman de Jong
Produktion der Exponate “Spine” und “FACS”: neoanalog
Ausstellungsbau: Bruns 
Hardware: Ata Tech